Die Narkose dunkler Flächen
C. Tannert, 1989
(aus Katalog "LUTZ FRIEDEL - BILDER 1988/89")

Ueberflieger -
das schwarze Flugzeug
1989
Oel / Bitumen / Leinwand
100 x 150

Seine Bilder heißen "Das schwarze Flugzeug" oder "Crash" und zeigen einen
kreuzweise sich durchs Bild schiebenden Farbfluß; Blubbermasse, die nicht Ruhe geben will und vom Heck eines durchs Gedächtnis stoßenden Airliners sich zum Cockpit vorwärtsgräbt. Das ist bildnerische Maulwurfsarbeit: Im Dunkel der Erinnerung Form bewältigen, die den "Crash", die Wirklichkeitszertrümmerung vollzieht und Freizonen schafft für die Wirklichkeit Kunst - mit Farbe und einem Pinsel, der die von Eberhard Roters so treffend charakterisierten sächsischen Rührbewegungen ausführt. Da läuft einem das Wasser im Munde zusammen und man möchte sich hinsetzen, die Leinwand zum Tischtuch machen und zugreifen. In ihrer plastischen Konsistenz hat Friedels Malstoff etwas ungemein Sinnliches. Mir scheint, erst jetzt, erst mit den 1989 entstandenen Bildern einer Farblohe, Dunkelheit, rohes Fleisch, Rost und Asche zwingenden Sprechens in Bildern, das aus dem Schweigen kommt, wo die Bildtitel sich wie Ringe um die Keilrahmen legen, weitere Worte zum Erlöschen bringen in malerischem Saus und Braus, ist Friedel bereit, Leinwand als Herzwand zu zeigen.

Friedels Unbeirrtheit, mit der er sich schon vor zehn Jahren den lautstarken, von ganz unkünstlerischen Positionen aus vorgetragenen Forderungen, wo Kunst Ihren Ort in der Gesellschaft zu finden habe, entzog, hat nun eine Konsequenz erreicht, die unsere Wahrnehmung mit einem offenen Horizont ausstattet und den Raum weit aufreißt für ein Sehen, das Welt nicht nur abbildet, sondern sie mit hervorbringt.

Selbst, mit Finger im Ohr
1979
Oel / Leinwand
 

Friedels Bild "Selbst mit Finger im Ohr" (1979), ein realistisches Porträt, klar und einfach gegliedert, orientiert an einer horizontal verlaufenden Radikalen, formuliert deutliche Absage an Kunsterklärer und Agitatoren. Mit stummer Geste wird auf das verwiesen, was erst der Sprachverzicht heraufklingen läßt: das Schweigende, das nicht auf den bekannten Sehbahnen daherpoltert, sondern unser Gesichtsfeld die Empfindung betritt. Die heutigen Bilder Friedels sind ganz Farbe, ganz Form und führen ihr Eigenleben, ohne dem Betrachter mit solch einem demonstrativen Aufmerksamkeitszeichen begegnen zu müssen. Ich kritisiere diese Strategie nicht, ich hege eher Sympathie für sie, denn sie ist in meinen Augen eine folgerichtige. Irgendwann mußte zwangsläufig der Griff in den eigenen Gehörgang, das Vortasten eine neues Sinnesfeld zur Herstellung des Sinnlichen als einer Sphäre entstehen Sinnes erfolgen. Nur so kann sich Malerei davor retten, zum Isolationsanstrich zu verkommen.

1989 ist Lutz Friedel als "Maler im Feld" ein Rehabilitierer der Sinne und des Sehens, ein Lichtanzünder; einer, der im Morgentau Wiese und Feld mit dem Malbesen zusammenkehrt und Sehnsucht und Gedächtnis anhäuft zu einem die Stille beleckenden Zeitmesser.
Bei Markus Lüpertz ist zwar Malerei "aggressiv gemacht als Malerei" (Lüpertz), aber ein "Spargelfeld - dith." wird zur gänzlich unheroischen Eisenbahnschiene. Anselm macht jeden deutschen Forstbezirk zum Zeugen der Anklage und Armando zeigte den 50er Jahren ,Kriminelle Landschaften'. Das (und noch viel mehr) sind die Kunstpositionen rundum. Auch Friedel will dem Dilemma um Landschaft zwischen Mystizismus und malerischer Schöpfung (einschließlich aller Pfadfinderaufträge von der Untersuchung des Waldsterbens über Geschichtsklitterung bis zur Neuschöpfung per Kunst nach der totalen Naturkatastrophe) nicht ausweichen.

Der Fund
1987
Oel / Leinwand
160 x 200

Sein "Fund" ist einstweilen der Ersatz für das verlorengegangene Natürliche. Mit ihm und an ihm trainiert der Künstler seine Schöpfungsimpulse. Landschaft wird so zum reinen Abbild der Kunst. Wie Friedel heute Landschaft malt, "Steine", "Das Wehr", so auch den "Nachmittag des Fleischers" oder "Das Gehirn". Das sind weniger die gesehenen, mehr die aus dem Augenhintergrund sich in Richtung Bild tastenden Vorstellungen von hellem Regen, sanft wärmenden Schatten, von Wunden und blutigen Träumen, ererbt von Rembrandt, Corinth und Soutine. In Schlieren und Farbklumpen dämmert Friedel eine malerische Idee, die er zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, physischer Welt und vorgestellter Welt als künstlerisches Ereignis inszeniert. Wobei das bei ihm ein äußerst langwieriger Akt ist. Farbschicht legt sich auf Farbschicht. Unter dem letztendlich Vorgeführten liegt die Vorgeschichte des Bildes. Mehrere Anläufe, Spontanes, Zufälle bilden ein Geäder, durch das der Malbrei fließt. Die Rinnsale vertrocknen. Ein "Reiter im Graben", pochende Schläfen, Farbwalzen ziehen sich über die nur vage formulierte Gegenständlichkeit. Dann Sprung und Fall. Selbsterfahrung - in Sekunden verschneit. Und schon weiter . . .

Erst wenn ein Großteil der inneren Barrieren abgebaut ist, stellt sich Unmittelbarkeit her. Gelöstheit fordert so Ihren Preis - die Bilder werden von Mal zu Mal schwerer. Auch deshalb, weil Friedel neuerdings in der Abschlußphase eines Bildes mit Bitumen arbeitet, einem in der Natur vorkommenden oder aus Erdöl bzw. Kohle ohne Zersetzung gewonnenen festen oder flüssigen Kohlenwasserstoffgemisch (z. B. Asphalt), das zur Endgültigkeit zwingt und den Bildern etwas hautartig Abgeschlossenes, Statisches verleiht, die Narkose dunkler Flächen.

 

Überdeckungen, Formbündelungen, Umlagerungen aus dem physischen Raum("Niemandsland") in den Bildraum, dafür hat er, wie mit dem Rasenmäher am eigenen Rückgrat geschürft, Ausdrucksformen der Kraft, Flucht und Trauer gefunden. Der Hang zu investierter Zeit und nicht das kurzatmige Drauflosschlagen; ein spannungsvolles otenziert in den Bildern "AIter Rundfunkempfänger", "Das Gehirn" und ,"Babelturm" - das, und wie er der kühlen Rationalität und dem Neuen Zynismus trotzt, stellt Lutz Friedel vor als einen Maler des selbstreflektiven Gestus, der der ästhetischen Alltagswelt unerschrocken die schrundigen Seiten seines Ichs entgegenstellt.Ruhen der Elemente, als geballte Ladung energetisch p

Christoph Tannert
Berlin, Juli 1989

Niemandsland
1989/90
Oel/Bitumen/Leinwand
90x180